Übrigens …

Jenufa im Theater Duisburg

Unter’m Joch

Der Dachstuhl ist massiv, sehr massiv. Er scheint auf die Menschen zu drücken, sie kleiner zu machen und zusammen zu pferchen. Aber er bietet auch Schutz vor der Außenwelt. Nichts Böses scheint hinein dringen zu können. So setzt Henrik Ahrs Bühnenbild Grundpfeiler für eine Interpretation von Leos Janaceks Jenufa: Eine in sich geschlossene Dorfgemeinschaft agiert dort mit allen Vor- und Nachteilen, die diese Enge mit sich bringt. Gegenseitige Hilfe, aber auch totale Kontrolle in einem Normensystem, dessen Missachtung zu gnadenloser Bestrafung führt.

Im Haus bieten Bankreihen, die wie im Fußballstadion nach oben ansteigen, eine begrenzte Spielfläche, die aber variationsreiche Figurenkonstellationen ermöglicht. Regisseurin Tatjana Gürbaca nutzt den Raum perfekt, verwebt Dialoge und Massenszenen zu einem homogenen Ganzen. Im zweiten Teil gibt es dann noch mehr für’s Auge. Da ist die Bevölkerung in schnieke Festtagstrachten gesteckt. Das sorgt für Farbtupfer, hat aber sonst keine tiefere Bedeutung und könnte eine Konzession an traditionelle Sehgewohnheiten sein.

Aber Gürbaca geht es sowieso eher um eine tiefe Auslotung der Charaktere. Das legt Janaceks vielschichtige Musik nahe. Und mit Hilfe ihrer Protagonist:innen gelingt es der Regisseurin, ergreifende Rollenportraits auf der Bühne zu beschwören.

Da sind zunächst die beiden Männer an Jenufas Seite: Štewa, den sie liebt und von dem sie schwanger wird, ist ein Leichtfuß. Er nimmt weder Leben noch Liebe besonders ernst und will einfach Spaß. Gürbaca verdeutlicht das, indem sie ihn sich hineinwerfen lässt in die ausgelassene Menge. Wie ein Pop-Star wird er aufgefangen und getragen. Das ist ein Typ zum Liebhaben und Knuddeln. Aber keiner, auf den man sich wirklich verlassen kann. Jussi Myllys zeichnet ihn großkotzig, bei Überforderung aber mit passendem Zittern in der Stimme. Ihm zuzuhören macht große Freude.

Giorgi Sturua ist Laca. Er liebt Jenufa lange mit Intensität und Leidenschaft. Er gleicht ständig einem Vulkan vor dem Ausbruch. Tatjana Gürbaca zwingt ihn förmlich  greifbar zur Zurückhaltung und lässt ihn dann und wann ausbrechen. Sturua folgt diesem Regiekonzept bedingungslos, hält seine Stimme im Zaum, um sie im richtigen Moment sich voll entfalten zu lassen mit all‘ ihrer Wucht und unbändiger Kraft.

Im Mittelpunkt stehen natürlich die Frauen. Bei Gürbaca ist die Titelheldin eine Frau, die allen Ängsten zum Trotz, die sie wegen der unehelichen Geburt eines Kindes aussteht, stetig an Selbstbewusstsein gewinnt. Aus allen Tragödien, die ihr widerfahren, scheint sie Kraft und Ruhe zu generieren, um ihr Schicksal zu meistern. Und Jacquelyn Wagner singt durchsetzungsfähig, schlicht und gerade heraus. Sie legt Ängste und Gefühle gnadenlos offen und zeichnet so Jenufa als durchweg starke Frau.

Wir erleben an diesem Abend dann auch noch eine Küsterin, wie sie kaum einmal zu sehen war. Rosie Aldridge und Tatjana Gürbaca sehen sie als Frau, die nicht nur strikt auf die Einhaltung der Normen des Dorfes besteht. Sie reflektiert stets ihr Handeln, hat immer große Skrupel - auch vor dem Mord an Jenufas Kind. Diese Küsterin ist beherrscht vom Zweifel an ihren Handlungen und sieht dennoch oft keine anderen Auswege. Aldridge beglaubigt das mit einer gebrochenen, manchmal scheinbar berstender Stimme voller Riesenkräfte - ein Vulkan, in dem die Lava brodelt.

Die Rheinoper verfügt über ein breites stimmliches Repertoire im Ensemble, das mit Verstärkung vom Opernstudio und ein paar Gästen die imponierend ausgewogene Besetzung der kleineren Rollen ermöglicht. Gerhard Michalskis Chor ist eine Bank, die homogenen, stimmlich ausgewogenen Klang garantiert. Axel Kober und die Duisburger Philharmoniker lassen Janaceks fein gewobene Partitur durchscheinend ertönen, drehen in den richtigen Momenten auch mal richtig auf und zeichnen so das Drama auf der Bühne gewinnbringend im Graben nach. Am Ende fallen sich Jenufa und Laca in die Arme. Ob ihr Glück von Dauer sein wird, oder sich nur zwei Ausgestoßene aneinanderklammern, lässt Tatjana Gürbaca offen. Ein ausgefeiltes Regiekonzept und eine großartige musikalische Umsetzung lohnen den Weg nach Duisburg.