Tristan und Isolde im Dortmund, Oper

Im Reich eines Diktators

„O sink hernieder Nacht der Liebe“ – wie ein tiefes Flehen nach Erlösung dringen diese Worte ins Dortmunder Opernhaus. Und das ist sehr glaubhaft, denn Jens-Daniel Herzog verlegt Tristan und Isolde in einen totalitären Staat, in dem König Marke mit eiserner Hand regiert – mit allen Mitteln eines autokratischen Herrschers. Folter und Mord inklusive. Tristan als enger Gefolgsmann des Diktators und dessen Erfüllungsgehilfe bekommt Markes Rache mit aller Härte zu spüren, als er sich, indem er sich in Isolde verliebt, gegen das System wendet. Beide wissen von vornherein um die Unmöglichkeit ihrer Liebe – es wird keine Erfüllung geben!

Mathis Neidhardt stellt auf die Drehbühne einen aus braun-grün-grauen Wänden bestehenden Diktatorpalast, kalt, herzlos, ohne Seele – mittendrin ein holzvertäfelter protziger Prunksaal, wie ihn Hitlers Architekten nicht besser hätten bauen können. Am Anfang passiert viel auf diesem Trrain: Einreisende werden kontrolliert, Militär ist allenthalben präsent und es herrscht eine bedrückende Atmosphäre. Im zweiten Akt wird Brangäne zur Verräterin. Sie - und nicht Melot - führt die Schergen Markes zum Liebespaar. Das Finale gerät szenisch etwas langatmig. Da kriechen in wechselnder Reihe der gefolterte, geblendete Kurwenal und der verwundete Tristan über die Drehbühne. Das ist auf Dauer recht eintönig und schafft auch keine neuen Einsichten. Groß das Finale: der teuflische Marke lässt sein ehemaliges Protegé Tristan erst ermorden, dann in einem Staatsbegräbnis beisetzen – mit der gebrochenen Isolde an seiner Seite!

Jens-Daniel Herzogs Regiekonzept ist ein absolut durchdachtes, ein vom Anfang bis zum Ende ohne Brüche entwickeltes und konsequent durchgeführtes. Aber es ist auch diskussionswürdig.

Vor allem deshalb, weil Herzog zwar das grausame, pervertierte diktatorische Regime in all seiner Härte porträtiert, darüber aber die Analyse der Liebe Tristans und Isoldes in den Hintergrund treten lässt und diesen scharfen Kontrast eher weichzeichnet. Nirgends kommt dieses rasende, wilde Verlangen zum Ausdruck, das die Liebenden dazu zwingt, ihr bisheriges Leben über Bord zu werfen und den Tod vorzuziehen. Das beginnt damit, dass der Liebestrank auf Beide eher wie eine Linie Koks zu wirken scheint und sie albern gestikulieren. In der Liebesnacht lässt Herzog sie nicht wirklich miteinander agieren – da gibt es eher, wie häufig, ein Nebeneinanderhersingen mit dem Blick ins Publikum. Wenig Leidenschaft also - und wenig wirklich dargestellte Todessehnsucht.

Gabriel Feltz und die Dortmunder Philharmoniker legen einen schnellen Tristan vor – einen aber, der erstaunlich durchhörbar bleibt. Feinheiten gehen trotz der Tempi nicht verloren. Was fehlt, sind die Augenblicke des Innehaltens ob des unglaublichen Geschehens. Und die magischen Momente. Davon gibt es denn doch einen: Wenn die zierliche Allison Oakes im schwarzen Kleid auf der riesigen Bühne ihren Liebestod singt, wissend darum, dass sie gleich wieder in freudlose Jahre einer Ehe mit Marke gehen muss – dann verströmt das Orchester pures Mitleid.

Oakes wird Isolde. Das macht sie überall spürbar. Was ihr noch fehlt, ist Nuancenreichtum und ein wenig mehr Kraft – ein vielversprechendes Rollendebut allemal. Lance Ryan hat die Kraft für den Tristan, weiß sie sich einzuteilen. Manchmal geht das bei ihm auf Kosten der Wärme in der Stimme. Und er scheint bisweilen etwas unbeteiligt.

Martina Dike ist eine sehr souveräne Brangäne, deren Mezzo mühelos das Opernhaus füllt – und sie singt so kalt und berechnend, wie es die Inszenierung fordert. Sangmin Lees Kurwenal quillt über vor vollen, schönen Tönen. Es braucht da aber noch ein Quäntchen Sentiment. Herausragend Karl-Heinz Lehner als Marke: eine Stimme, die Mitleid und Brutalität zugleich ausdrücken kann. Die kleinen Rollen kann das Dortmunder Ensemble perfekt besetzen.

Insgesamt ein sehr interessanter, aber nicht wirklich berührender Abend. Das Publikum reagiert mit einer sich die Waage haltenden Mischung aus Buhs und Bravi.