Die Vögel im Theater Osnabrück

So entstehen Kriege

Walter Braunfels ist einer der Künstler, deren steile Karriere vom Faschismus jäh gestoppt wurde. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er an seine Erfolge nicht wieder anknüpfen – sei es, weil sich tatsächlich der Musikgeschmack gewandelt hatte oder aber, weil an den Schaltstellen des Kulturbetriebes immer noch im Wesentlichen das gleiche Personal saß.

In den letzten Jahren hat es verstärkt Bemühungen gegeben, Braunfels’ Werk aus seinem Schattendasein herauszuholen. So inszenierte zuletzt das Theater Bonn Der Traum ein Leben. Dass das Schaffen von Walter Braunfels nicht in die Archive, sondern auf die Bühnen gehört, stellt Yona Kim am Theater Osnabrück auf das Eindrücklichste unter Beweis. Sie setzt Die Vögel in Szene.

Die fußen auf Aristophanes’ gleichnamiger Komödie und die Handlung ist eigentlich ganz schnell umrissen. Zwei Menschen – enttäuscht von ihresgleichen – gelangen ins Reich der Vögel. Während Hoffegut die wahre Liebe sucht und sie bei der Nachtigall zu finden glaubt, wird Ratefreund zum Berater des Königs Wiedehopf, flüstert diesem ein, dass die Vögel sich eine Festung bauen sollten, um Herrscher über Menschen und Götter zu werden. Doch diese Hybris wird bestraft: Zeus zerstört die Stadt.

Wenn sich der wunderschöne Fin-de-Siècle- Vorhang öffnet, blicken wir ins Reich des Königs der Vögel, der selbst auch ein Mensch war. Die Vögel hat Hugo Holger Schneider in vielfältige Kostüme gesteckt, die sich auch in die Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts verorten lassen. Das Auge erfreuen besonders die so individuelle Kleidung der Chöre.

Der König hält Hof, in einem goldenen Käfig sitzt die Nachtigall, die auf Kommando ihr sehnsuchtsvolles Lied singen muss und in die sich Neuankömmling Hoffegut sofort verliebt. Ratefreund entwickelt dagegen sofort seine Strategien für ein Vogelreich und trägt alsbald Uniform und Pickelhaube. Jetzt ist klar, wo wir uns befinden. Doch bevor die Aufrüstung des Vogelreiches beginnt, hat Braunfels ein wunderschönes Duett für Hoffegut und die Nachtigall geschrieben, dass lyrisch und zart daherkommt und von unbestimmter, nicht zu verortender Sehnsucht erzählt, von Wünschen nach Freiheit und Liebe. Im Hintergrund Caspar David Friedrichs Der Wanderer über dem Nebelmeer – ein sehr treffendes Symbol für diese typisch deutsche diffuse Sehnsucht, die auch ihre gefährliche Seite hat.

Für den zweiten Teil hat Evi Wiedmann eine rötlich-graue abstrakte Betonfestung auf die Bühne gestellt. Alles Spielerische, Leichte ist verschwunden und die Vögel tragen Uniform – fühlen sich bereits – von Ratefreund angestachelt - als Herrscher der Welt. Und so geht alles der Katastrophe entgegen. Vorher tritt allerdings noch Prometheus als Warner auf und fordert zur Umkehr auf. Johannes Schwärsky singt ihn volltönend, großartig . Braunfels zeichnet ihn musikalisch deutlich als Bruder des Jochanaan aus Strauss’ Salome.

Der finale Kampf – eine projizierte Luftschlacht aus dem Ersten Weltkrieg - endet mit der Vernichtung der Festung und der König begeht Selbstmord.

Während Hoffegut in seinem Schlussmonolog auf eine irgendwie geartete Zukunft hofft, sehnt sich Ratefreund nach einem warmen Ofen und „Gemütlichkeit“. Wie die aussieht, zeigt sich schnell: Kriegsheimkehrer feiern ein Volksfest und die drei Vogeldamen singen in Tracht mit gefährlich blonden Zöpfen – ein Vorspiel zur nächsten Katastrophe. Yona Kim gelingt mit Die Vögel ein Antikriegsstück im allerbesten Sinn – ohne flache Propaganda. Das alles ist ganz fein durchleuchtet und mit viel subtiler, nicht immer leicht zu entschlüsselnder Symbolik ausgestattet. Das ist Musiktheater vom Feinsten.

Und das Osnabrücker Ensemble hat ebenfalls eine Sternstunde. Markus Lafleurs Chöre tragen den Abend, meistern ihren wahrlich komplexen Part ebenso gekonnt wie Tadeusz Jedras, Susann Vent, Genadijus Bergorulko und Almerija Delic die kleineren Vogelrollen. Daniel Moon ist ein sehr edel singender Wiedehopf, Heikki Kilpeläinen gibt Ratefreund als etwas tumben, aber machthungrigen Mann. Alexander Spemann steigert sich als Hoffegut nach etwas nervösem Start zu einem grandiosen Schlussmonolog voller Sehnsucht und auch Hoffnung. Mit Beifall überschüttet wird Marie-Christine Haase, die die koloraturgespickte Partie der Nachtigall mit bewundernswerter Präzision bewältigt, aber auch die ganze Traurigkeit ihres Liedes zum Tragen bringt.

Eine Sternstunde ist der Abend ganz sicher auch für Generalmusikdirektor Andreas Hotz und das Osnabrücker Symphonieorchester. Walter Braunfels’ sowohl farbiger als auch sehr differenzierter Partitur bleiben sie nichts schuldig. Das Publikum kann geradezu baden in der ganzen, prächtigen Klangwelt und die Sängern werden auf Händen getragen.

Das Publikum feiert alle Akteure zu Recht fast frenetisch: Ein perfektes Plädoyer für Die Vögel mit einem kleinen Wermutstropfen. Es gibt nur noch fünf Vorstellungen bis zum 11. Juli. Die sollte man nutzen.